Henri

Henri

Radfahren hat für mich als Norddeutsche natürlich schon immer eine wichtige Rolle gespielt. In meiner Heimatstadt besitzt jeder Einwohner mindestens 1,5 Räder und der Radfahrer an sich hat auf jeder Straße Vorrang (das denkt er zumindest). Bei Wind und Wetter habe ich mich in meiner Jugend auf den 6 km langen Weg Richtung Schule gemacht und eben auch die 6 km zurück. Selbst zum Weggehen nutzt man das Rad als Fortbewegungsmittel, auch wenn dies zugegebenermaßen nicht die sicherste Art der Fortbewegung nach 23 Uhr darstellt. Allerdings war das Rad für mich immer eben genau das, ein Fortbewegungsmittel auf dem man nicht länger sitzen muss, als bis man eben an seinem Ziel angekommen ist. 

Fast Forward 15 Jahre später (nagut, vielleicht auch ein paar mehr als 15 Jahre) treffe ich nun diesen Mann, dessen Instagram Profil voll ist mit Radfotos. „Radfahrer sind die schlimmsten“ warnt mich eine Freundin. Ich find es jedoch spannend, noch nie nen Radfahrer gedatet und mal ehrlich, wie schlimm kann‘s schon sein. Der Radfahrer und ich sind uns sofort sympathisch. Er erzählt einiges vom Radfahren, es gibt aber auch noch andere Themen, noch nichts Verdächtiges soweit. 

Nach einigen Dates taucht er plötzlich mit einem Stück Pappe auf. Mit den Worten „heute messen wir mal deine Sitzknochen“ macht er sich auf den Weg ins Wohnzimmer und drapiert die Pappe auf einem Hocker. Etwas irritiert bleibe ich vor ihm stehen. „Wie jetzt?“ „Na wenn der Sattel nicht stimmt, wird dir Radfahren gar keinen Spaß machen“. Kaum weiß ich wie mir geschieht, sind auch schon meine Knochen vermessen. Die Pappe wird fein säuberlich wieder eingepackt.

Einen Tag später kommt der Link zu Ebay Kleinanzeigen mit einem passenden Sattel mit dem Hinweis „das ist genau der Richtige, den bräuchtest du eigentlich.“ Hmm, 100 Euro für nen Sattel. Dafür hab ich mein halbes Fahrrad bekommen. Aber der Radfahrer ist mir mittlerweile sehr ans Herz gewachsen und so denke ich, kann ja nicht schaden, son toller Sattel, auch ohne Rad. Ein paar Tage später besitze ich also einen Sattel, ohne dass ich jemals auf einem Rennrad gesessen habe.

Mittlerweile habe ich die leise Ahnung, diese Radfahrsache, da komm ich glaub ich nicht mehr raus.

Wenige Tage später finde ich mich auf seinem Indoor Rad wieder, Antritt zum FTP test. FTP, WTF? Ich verstehe nicht so ganz was mir das sagen soll, aber anscheinend hat es irgendwas damit zu tun, wie toll ich Radfahren kann. Das klingt nach Wettbewerb und bei Wettbewerb bin ich eigentlich immer dabei. Also trete ich so schnell ich kann und erfahre mir meinen ersten FTP Wert (der leider nirgendwo verzeichnet wurde, ich erinner mich partout nicht dran). Anschließend werden mir noch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Rennradschuhen erklärt und ich muss verschiedene Modelle Probelaufen (wir haben fast die gleiche Schuhgröße).

Eines Sonntagsmorgen erstellen wir gemeinsam ein Profil auf Trainer Road. „Wie oft willst du trainieren? 3, 6 oder 9 Stunden die Woche?“ Ich schlucke. Jetzt wird es ernst. Ich argumentiere mir die 3 heraus, als Einstieg schließlich völlig ausreichend, vielleicht finde ich es ja auch total doof. Nun habe ich also einen Trainingsplan. Ich weiß ehrlich nicht, wie es überhaupt so weit gekommen ist. Der Radfahrer ist einfach sehr sehr überzeugend.

Erstes richtiges Training auf dem Indoor Rad.

Das ist natürlich kein schnödes Rad wie ich es früher mal im Fitnessstudio gefahren bin, sondern das beste Rennrad im Stall auf einen KICKR Smart Trainer geschnallt. Die erste Einheit beginnt, damit mir nicht langweilig wird, wird mir ein Fernseher vor die Nase gestellt. Er gibt sich Mühe. Ich radel los. Und irgendwie ist das cool. Ich kann meine Herzfrequenz überwachen und genau sehen wie schnell ich trete. Schnell ist gut, hab ich gelernt. Also trete ich los. Nach einer Stunde steige ich erschöpft vom Rad. Als Belohnung gibt’s Radfahrer Abendessen. Das kann man nochmal machen, denke ich mir.

Irgendwann ist es dann soweit. Das Wetter lässt eine erste richtige Ausfahrt mit echten Rädern zu.

Ich bin aufgeregt und hab total Angst, dass ich an dem teuren Rad irgendwas kaputt mache. Das komplette Outfit leihe ich mir vom Radfahrer. Und los geht’s. Erst durch die Stadt und irgendwann dann auf der Landstraße. Es saust und pfeift und wir werden immer schneller. Wir sehen die Berge, fahren vorbei an Wäldern, grüßen andere Radfahrer, schaffen es bis an den See. Herrliches Panorama, erste Frühlingssonnenstrahlen. Zurück dann auch noch mit Rückenwind. 60 km später sind wir wieder da und ich bin einfach nur unglaublich glücklich. Über 40 km/h sind wir gefahren. Die Sitzknochenvermessung hat ihren Zweck erfüllt, nichts tut weh.

Henri
Erstes Mal auf dem Rennrad in freier Wildbahn.

4 Monate nach unserem ersten Treffen bin ich also irgendwie auch ein bisschen „hooked“. Sowohl aufs Radfahren, als auch auf den Radfahrer.