How to Gravel

Gravel ride hier, Gravel bike da. Kaum ein Wort, das man zurzeit öfter im Radsport hört, als das Wort Gravel. Für mich war Gravel eine sehr lange Zeit vor allem eins: fiese kleine Steinchen. Wer schonmal mit 25 mm Reifen über eine Forststraße gefahren ist, weiß, wovon ich rede. 

Als ich mit dem Rennrad fahren anfing, endeten schlecht geplante Routen und spontane Abkürzungen (die beim Einbiegen noch total ok ausgesehen hatten) oft auf eben diesen Straßen mit den fiesen kleinen Steinchen. Daraus folgte entweder eine unabdingbare Geschwindigkeitsreduzierung auf ca. 5 km/h, oder eiskalt absteigen und schieben (stark verknüpft mit der aktuellen Neigung der Straße und gern kommentiert von meinen Begleitern). Zu groß erschien mir die Gefahr, dann doch mal die Kontrolle zu verlieren und einen Abgang in alle denkbaren Richtungen zu riskieren. “Ich hasse Steinchen” hab ich glaub ich öfter gesagt als “guck mal wie schön”. Wer schonmal mit mir gefahren ist, weiß, was das heißt. Und warum sollte man auch mit einem Rennrad auf kleinen Steinchen fahren wollen!?

Auch gut gemeinte Ratschläge und Strategien zur Bewältigung der Gravel-Wege konnten mich nicht überzeugen. Einfach so schnell wie möglich drüber zu fahren, was aus mir unbekannten physikalischen Grundsätzen zu einer höheren Stabilität führen sollte, illusorisch. Schließlich gab es immer noch die zusätzlichen Hürden der Nebenwege: Plötzlich quer liegende Äste, Baumwurzeln am Wegesrand, Löcher mitten im Weg, die erst auf den letzten Blick erkennbar sind, wenn’s ganz schlecht lief, auch noch Fußgänger. Kurz um, not a fan.

Upgrade auf 32 mm Reifen

Gravel Strecke

Eine komplette Kehrtwende machte meine Beziehung zu Gravel, als ich mein Cannondale Synapse zunächst auf 28 mm und nach dem Umzug aufs Land dann auf 32 mm Reifen aufrüstete. Mit jedem mm Reifenbreite stieg auch meine Steinchen-Sicherheit. Plötzlich waren kleine Unebenheiten komplett egal, bügelten mein Rad da jetzt geradezu drüber hinweg. Mit jedem km/h mehr auf der Forststraße stieg auch meine Toleranz den Unebenheiten gegenüber. Und wer hätte es gedacht, es gibt tatsächlich eine Korrelation von Geschwindigkeit zu Stabilität, hätte ich doch mal im Physik Unterricht besser aufgepasst. Nach ein paar Wochen Übung (ok, vielleicht auch ein paar Monaten) und zahlreichen Abkürzungen (die schon vorm Einbiegen nach Steinchen aussahen) später, gab es für mich auf der Ebene keinen Unterschied mehr zwischen frisch asphaltierter Straße und Gravel. Der erste Durchbruch war erreicht.

Der größte Unterschied vom klassischen Rennrad fahren zum Graveln ist dann aber wohl: keine Autos! Graveln ist weit weg von Nahtoderfahrungen auf der Landstraße. Auf kleinen Wegen mitten durch Wälder, an Flüssen entlang, an Hase und Igel vorbei, das ist Gravel. Vogelgezwitscher, Wasserfälle, Blumenwiesen und stille Lichtungen. Je sicherer ich wurde, desto schöner wurden die Routen und desto mehr traute ich mir zu mit den 32 mm.

Die Mountainbike Problematik

Irgendwann kommt man dann an einen Punkt, an dem einem die Mountainbike-Strecken Schilder auffallen. Dies würde ich als nächsten Durchbruch bezeichnen, den man im Gespräch mit seinem Lebensversicherungsagenten unbedingt verheimlichen sollte. Plötzlich fängt man an zu testen, wie weit man eigentlich mit seinem Rennrad auf diesen Mountainbike-Strecken kommen kann.

Das Problem an diesen Mountainbike Strecken ist, man kommt einige ganz gut hoch, nur muss man die irgendwie auch wieder runter. Und hier ist dann die nächste Herausforderung im Gravel. Gravel bergab. Als nicht downhill Mensch mit leichter Höhenangst ist bergab fahren generell schon ein Problem. Bergab mit vielen Steinchen? Ein großes Problem. Nach vielen Malen bergab schieben (…) musste eine Lösung her.

The Gravel Blitz

Meet: The Gravel Blitz. Mein neues Cannondale Topstone mit 40 mm Reifen und mechanischer Dropper Post.

Cannondale Topstone

Dropper was? Eine Dropper Post ist eine ein- bzw. ausfahrbare Sattelstütze, mit der man blitzschnell die Sitzhöhe verändern kann, ohne vom Rad steigen zu müssen. Das ganze läuft über einen kleinen zusätzlichen Hebel, der am Lenker verbaut ist (Anton Mechaniker Gott). So kann man kurz vor der Abfahrt die Sattelstütze einfach einfahren, um den Gewichtsschwerpunkt weiter nach hinten zu verlegen und so mehr Sicherheit auf der Abfahrt zu gewinnen.

Seit diesem Upgrade und mit den neuen tubeless Reifen lediglich auf 2 bar aufgepumpt, werde ich zum Mountainbike-Strecken ohne Mountainbike Profi. Ich behaupte jetzt nicht, dass die ganz steilen Stücke gar kein Problem mehr sind, aber ich bin zu 100% sicherer als noch auf dem Synapse und musste seitdem nicht mehr downhill schieben.

Mein Rat an alle, die vielleicht noch etwas unsicher auf und mit Gravel sind: Je dicker die Reifen, desto besser. Je niedriger der Luftdruck, desto komfortabler (aber auch langsamer auf der Straße). Und dann einfach nur noch genießen. Und nicht von den schnellen Rennradlern auf der Bundesstraße nebenan verunsichern lassen ;).